Nachgefragt bei InCamS@BI:
- Was sind die größten Herausforderungen beim Recycling?
- Und was hat ein Expert Panel damit zu tun?
Im Interview der Reihe erklärt Technologiescout Heike Wulf aus der Forschungsgruppe Zirkuläre Wertschöpfung zum heutigen Weltrecyclingtag am 18. März, wie Kunststoffe in einer Circular Economy genutzt werden können und dadurch Ressourcenverschwendung minimiert werden kann. Diesem und anderen Thema widmen sich auch die InCamS@BI Expert Panels, die die Forschungsgruppe mitentwickelt und erfolgreich durchgeführt hat: Aber was macht eigentlich ein Expert Panel?
Heike, heute am 18. März ist der Weltrecyclingtag. Du bist Umweltingenieurin und kennst dich daher unter anderem mit dem Thema Recycling und Abfallwirtschaft sehr gut aus. Was sind aktuell die größten Herausforderungen in diesen Bereichen?
Heike Wulf: Ein grundsätzliches Problem ist es, dass die Recyclingfähigkeit von Wertstoffen nicht ausreichend gegeben ist. Dadurch sind große Flächen für Mülldeponien notwendig, beispielsweise für Baustoffe oder Aschen. Durch mehr Recycling könnte man die Flächen anderweitig nutzen.
Eine andere aktuelle Herausforderung in der Abfallwirtschaft entsteht durch Knopfzellen und Batterien. Diese werden beispielsweise in leeren E-Zigaretten oder Vapes im Restmüll entsorgt. Häufig ist jedoch noch eine Restspannung vorhanden. Dadurch können sich unter Umständen Brände entwickeln. Brennt eine Sortieranlage ab, ist ein Wiederaufbau der Anlage auf Grund von Haftungsfragen oft schwierig.
Welche spezifischen Herausforderungen siehst du insbesondere beim Recycling von Kunststoffen?
Heike Wulf: Kunststoffe werden aus Erdöl hergestellt und bei ihrer Produktion wird viel Energie gebraucht. Um die Klimaziele zu erreichen und die Nachhaltigkeit zu verbessern, ist es daher sehr wichtig, dass Kunststoffe mehrfach verwendet werden können. Dazu müssen wir die Recyclingfähigkeit von Kunststoffen insgesamt stark erhöhen. Eine Möglichkeit ist es, die Anzahl von Materialvarianten zu reduzieren und auf einfach mechanisch recyclingfähiges Material zu setzen, insbesondere bei Verpackungen aus Kunststoff, die nur sehr kurzfristig im Verkehr sind.
Technische Kunststoffe werden in der Regel länger genutzt. Aus ihnen bestehen beispielsweise Baustoffe oder auch Autoteile. Auch hier ist es wichtig, schon vor der Produktion auch das Recycling mitzudenken. Hierzu ist es entscheidend, dass die Produkte demontierbar und mechanisch recycelbar sind.
Das Recycling ist eine der bekanntesten Möglichkeiten zur Abfallvermeidung. Neben dem Recycling gibt es noch weitere sogenannte R-Prinzipien. Kannst du uns dafür Beispiele nennen?
Heike Wulf: Es ist wichtig, dass Unternehmen für ihr individuelles Produkt genau schauen, wie es nachhaltiger gestaltet werden kann. Eine Möglichkeit bietet auch das R-Prinzip „Reduce“. Hier geht es um Einsparungen. Wenn beispielsweise eine Verpackung kleiner wird, müssen weniger Kunststoffe bei ihrer Herstellung genutzt werden. Die Reduzierung der genutzten Rohstoffe sollte jedoch nicht auf Kosten der Langlebigkeit eines Produkts gehen.
Das Prinzip „Repair“ ist ein Schwerpunkt meiner Arbeit. Am Institut für Technische Energie-Systeme (ITES) der HSBI entwickeln wir Strategien, um die Langlebigkeit bei Elektronikprodukten durch Reparatur weiter zu verbessern. Dazu kann ich sagen, dass auch hier die Demontierbarkeit der einzelnen Produktkomponenten wichtig ist, um Reparaturen zu ermöglichen, Neuerungen auch nachträglich noch einbauen zu können und letztendlich die Recyclingfähigkeit zu erhöhen.
Inwiefern kann die zirkuläre Wertschöpfung als Wirtschaftsform eine Lösung für mehr Nachhaltigkeit sein?
Heike Wulf: Die zirkuläre Wertschöpfung kann einen großen Beitrag zur Produktivität von Rohstoffen und für den Klimaschutz leisten. Wenn ich etwas zirkulär nutzen kann, dann muss ich es nicht herstellen und verbrauche so kein Material und keine Energie. Hersteller sollten meiner Meinung nach bis zum Ende eines Produktlebenszyklus eine Verantwortung für ihr Produkt haben. Bestenfalls sollte die Umsetzung von Maßnahmen, die die Zirkularität von Produkten erhöhen, in Geschäftsmodelle integriert sein. Das bedeutet, dass Unternehmen beispielsweise einen eigenen Reparaturservice anbieten, sodass Langlebigkeit auch wertschöpfend ist.
Außerdem bieten wir interessierten Unternehmen einen Tech-Check an: Dieser hilft dabei, eigene Ansatzpunkte für zirkuläre Wertschöpfung zu erfassen. Nach einer Ist-Analyse identifizieren wir mit ihnen individuelle Handlungsfelder und entwickeln gemeinsam potenzielle Lösungsansätze.
Wie kann ich mich mehr zu den Themen Recycling, Abfallvermeidung und Circular Economy informieren?
Heike Wulf: Wir haben bei InCamS@BI eine Wissensbasis auf unserer Website angelegt. Dort kann man sich als Privatperson oder als Unternehmensvertreter:in zum Thema Circular Economy informieren. Wir haben uns bemüht, alle Informationen zu den R-Prinzipien übersichtlich und verständlich aufzubereiten. Zukünftig findet man dort auch eine Wissensbasis zum Thema Kunststoffe.
Bei InCamS@BI wird auch viel Wert auf die Zusammenarbeit mit Unternehmen aus dem Bereich der Kunststoffe gelegt. Eine Austauschmöglichkeit bieten da zum Beispiel unsere Expert Panels. Was genau ist das? An wen richtet sich das Format?
Heike Wulf: Unsere Expert Panels richten sich an Unternehmensvertreter:innen und andere interessierte Personen. In einem vertraulichen Rahmen werden aktuelle Forschungen sowie Anwendungsmöglichkeiten oder Neuentwicklungen diskutiert. Dabei geht es zum Beispiel um rechtliche Fragen, um Produktentwicklungen oder Erfahrungen von Nutzer:innen. Unser Ziel im Projekt ist es, Praxis und Wissenschaft in ständigen Austausch zu bringen. Dieser Transfer ist meiner Meinung nach entscheidend für unseren Industriestandort. Das Wissen der Hochschulen muss in die Anwendung kommen. Außerdem ist der Austausch mit der Wirtschaft für eine bedarfsgerechte, wissenschaftliche Forschung wichtig.
Zu welchen Themen gab es bisher Expert Panels und welche sind zukünftig noch geplant?
Heike Wulf: Das erste Expert Panel hat im vergangenen Sommer im Rahmen des „Innovationsforums“ unserer Forschungsgruppe Innovationsmanagement zum Thema „Open Innovation im Mittelstand“ stattgefunden. Die zweite Veranstaltung des Innovationsforums widmete sich Innovation in KMUs.
Kürzlich hat unsere Forschungsgruppe Zirkuläre Wertschöpfung außerdem ein Expert Panel zum Thema „Circular Economy in der Unternehmensstrategie“ veranstaltet. Dieses Panel war in drei Termine aufgeteilt. Zunächst ging es um die Analyse der Wertschöpfungskette von Unternehmen. Beim zweiten Termin haben wir uns mit der Nachhaltigkeitskommunikation aus wirtschaftspsychologischer Sicht und dem Thema „Green Claims“ beschäftigt. Beim dritten und letzten Termin ging es um Circular Economy in Unternehmensstrategien aus wirtschaftsrechtlicher Perspektive. Das nächste Expert Panel ist beim „Innovation Festival“ auf dem Campus Bielefeld im September geplant.
Vielen Dank für das Gespräch!
Text: © sas / Hochschule Bielefeld (HSBI)