Forschung für und mit Industrie
Das Gegenteil von Theorie ist die Praxis. So sagt man landläufig und unterstellt damit oft, dass wissenschaftliche Erkenntnisse nicht immer für den Alltag taugen. Dass Theorie aber nicht gleich Theorie ist und Wissenschaft und Praxis trotz aller Unterschiedlichkeit aufeinander angewiesen sind, darauf weist das FIR an der RWTH Aachen schon mit der Auflösung seines Akronyms hin: „Forschung. Innovation. Realisierung.“[1] Hier zielen alle Forschungsaktivitäten darauf ab, Lösungen für reale Herausforderungen aus der Praxis zu schaffen, die am Ende auch umsetzbar sind. Eine nutzenbringende Verbindung zwischen den beiden scheinbar so unterschiedlichen Welten ist dafür unabdingbar und diese Lücke schließt das FIR mit Industriekooperationen, Wissens- und Technologietransfer und Weiterbildungsangeboten auf vielen Ebenen. Nicht zuletzt positionierte sich das FIR als leitendes Institut des Clusters Smart Logistik und füllt diese Rolle seit über 10 Jahren erfolgreich auf dem RWTH Aachen Campus aus.
Die Vermittlung neuer Erkenntnisse zu Verfahren und Anwendungen sowie die Bereitstellung von Modellen und Methoden gewinnen mit zunehmender Globalisierung und rasantem Technologiefortschritt mehr und mehr an Bedeutung. Die aktuelle Entwicklung des Unternehmensumfelds beschleunigt nicht nur Veränderungsprozesse in den Unternehmen, sie erhöht vor allem die Komplexität von Strategien, Organisationen und Prozessen. Mit der zunehmenden Volatilität der Märkte wird es zudem immer schwieriger, Ereignisse vorherzusehen. Eigene unternehmerische Ressourcen stoßen angesichts der Vielzahl neuer Herausforderungen in einer sich immer schneller wandelnden Welt leicht an ihre Grenzen.
Hier setzt das FIR mit anwendungsorientierter Forschung auf dem Gebiet der Betriebsorganisation, Unternehmens-IT und Informationslogistik an. Praxisrelevante Problemstellungen werden in Lösungen für die digitale Vernetzung der Wirtschaft überführt, die die Basis schaffen für Innovationen in der produzierenden Industrie [oder: die Innovationen in der produzierenden Industrie als Grundlage dienen. Unter dem Oberbegriff des Industrial Managements forscht, lehrt und qualifiziert das FIR in den Bereichen Business Transformation, Dienstleistungsmanagement, Informationsmanagement und Produktionsmanagement und betrachtet Themen der digitalen Vernetzung, neue Technologien und Geschäftsmodelle mit ihren Effekten auf die strategische, organisatorische und operative Neugestaltung von Industrieunternehmen. Dieses Wissen teilt das Aachener Institut innerhalb der Forschungscommunity und mit Unternehmen gleichermaßen.
Alle Aktivitäten dienen dem Ziel, die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen nachhaltig zu steigern. Auf vielen Ebenen unterstützt das FIR im Cluster Smart Logistik Unternehmen bei der Erschließung von Optimierungs- und Wertschöpfungspotenzialen, die Digitalisierung, globale Vernetzung und neue Technologien für sie bereithalten. Im Fokus stehen Fragen der Aufbereitung von Daten und der optimalen Bereitstellung von Informationen, denn mit der weiter voranschreitenden Digitalisierung wird das Unternehmen der Zukunft in weiten Teilen ein informationsverarbeitendes System sein. Das Vermögen, Informationen aus Daten zu generieren und darauf basierend schneller die richtigen Entscheidungen zu treffen, wird maßgeblich für den zukünftigen Unternehmenserfolg sein.

Wissen gewinnen, nutzen und bereitstellen
Wie stellt das FIR einen hohen Praxisbezug und damit den wirtschaftlichen Nutzen seiner Arbeit sicher? Basis des Erfolgskonzepts ist das FIR-Businessmodell, das den für das FIR typischen Kreislauf aus Leistungen der Forschung und Erfolgen aus der Praxis wiedergibt. In Forschungsprojekten werden Problemstellungen bearbeitet und gelöst, die im Rahmen der industriellen Auftragsforschung als wiederkehrende, strukturbasierte Probleme identifiziert wurden. Die Forschungsergebnisse kommen anschließend in der Praxis zur Anwendung. Mit dem in diesem Wechselspiel generierten Wissen qualifiziert das FIR in Veranstaltungen und Weiterbildungsangeboten Industrievertreter:innen, entwickelt es in handhabbare Methoden und Standards weiter und überführt es in echte Anwendungen gemeinsam mit den Centern im Cluster Smart Logistik.
Schnittstellen erschließen Potenziale
Diese Interaktion zwischen Wissenschaft und Wirtschaft findet auf vielen Ebenen und im Zusammenspiel mit Unternehmen, Verbänden, Forschungseinrichtungen und nicht zuletzt mit Politik und Forschungsinstitutionen als Förderern angewandter Forschung statt. So stärkt das FIR als Gründungsmitglied der Johannes-Rau-Forschungsgemeinschaft die Forschungsstrategie des Landes Nordrhein-Westfalen und ist Mitglied der Zuse-Gemeinschaft, Interessenvertretung für privatwirtschaftlich organisierte Forschungseinrichtungen auf Bundesebene. Als Forschungsstelle der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsgemeinschaften (AiF) engagiert sich das FIR in Projekten zu Zukunftsfragen der Industrie und nutzen die Vorteile der Zusammenarbeit im Rahmen eines Kooperationsvertrags als An-Institut die enge Zusammenarbeit mit der RWTH Aachen.
Im Dialog mit Partnern aus Industrie und Dienstleistungen engagiert sich das FIR an vielen Schnittstellen, um die Chancen der Digitalisierung für die Industrie in allen Facetten zu erkennen und zu nutzen. Dazu zählen zahlreiche Verbandsmitgliedschaften, etwa in der Bundesvereinigung Logistik (BVL), dem Club of Logistics, dem Kundendienstverband Deutschland (KVD) oder dem VDI. Um eine möglichst breite Zielgruppe von den Ergebnissen profitieren zu lassen, haben Transferaktivitäten wie die Erstellung von Handlungsempfehlungen, Richtlinien, Spezifikationen und Normen eine hohe Bedeutung. Deshalb arbeitet das FIR intensiv mit dem Deutschen Institut für Normung (DIN) e. V. zusammen und generiert DIN-Normen und DIN SPECs.

DFA Demonstrationsfabrik Aachen im Cluster Smart Logistik auf dem RWTH Aachen Campus
Cluster Smart Logistik: Closing the Gap between Science and Industry
Seit 2010 leitet das FIR in Person von Professor Dr.-Ing. Volker Stich[2] das Cluster Smart Logistik auf dem RWTH Aachen Campus. Hier entstehen Zukunftsvisionen zu konkreten Geschäftsmodellen und Anwendungen für eine nachhaltige Produktion und Logistik, die den Mehrwert einer engen Verzahnung von Industrie und Forschung besonders deutlich zutage treten lassen. In einer einzigartigen Experimentierumgebung mit Demonstrationsfabrik (Digital Experience Factory), Innovation-Labs und Themenpark erschließen und erproben Wissenschaftler:innen gemeinsam mit Industrievertreter:innen die Potenziale von Digitalisierung und Vernetzung. Eine reale Produktionsumgebung der Zukunft bietet Unternehmen auf komprimiertem Raum die Möglichkeit, neueste Technologien und Verfahren realitätsnah zu verproben, um Anwendungen, Geschäftsmodelle und Produkte über die Entwicklung von Proto- in Primotypen[3] schnell zur Marktreife zu führen. Dies führt zu extrem kurzen Wegen von der Idee bis zum Wirksamkeitsnachweis.
Das Konzept setzt genau im Zentrum der neuen Technology-Readiness-Level an, wo es darum geht, eigene Entwicklungen als Versuchsaufbau in Proto- und Primotypen zu überführen, um sie mit Nachweis der Funktionstüchtigkeit ihrem eigentlichen Einsatz im Feld zuzuführen. So füllt das Cluster Smart Logistik mit der Erschließung konkreter Anwendungspotenziale die Lücke zwischen Produkt- und Dienstleistungsentwicklung und ihrer Marktreife.
Formen der Zusammenarbeit
Mit anwendungsorientierter Forschung erarbeitet das FIR Methoden, Ordnungsrahmen und Anwendungen für die Weiterentwicklung von Unternehmen im Rahmen der digitalen Transformation. Die Beteiligung von Unternehmen schon in der Ausschreibungsphase sowie in der späteren Umsetzung der Projekte sichert den Praxisbezug und die Verwertbarkeit neuesten Wissens in der Industrie.
Öffentlich geförderte Projekte
Der Wissenstransfer in die Wirtschaft ist Ziel aller Forschungsaktivitäten. Das FIR ist erfahren in der Nutzung von Fördermöglichkeiten und versiert, wenn es darum geht, das richtige Programm für ein Unternehmen zu identifizieren. Bund und Länder sind derzeit besonders bemüht, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit vor Ort zu stärken und haben neben schon bestehenden Förderprogrammen viele Förderbedingungen verbessert sowie gänzlich neue Programme aufgelegt. Die Expert:innen des FIR kennen die aktuellen Möglichkeiten und unterstützen Unternehmen dabei, die passenden Programme zu identifizieren. Gleichzeitig sichert die Beteiligung von Unternehmen den Praxisbezug und Unternehmen profitieren ihrerseits von den neuesten Forschungserkenntnissen, die ihrer Weiterentwicklung dienen.

Beratungsportfolio des FIR
Konsortialprojekte
Unternehmen sind häufig auf der Suche nach Lösungen, die schneller zu Ergebnissen führen als öffentlich geförderte Projekte mit mehrjährigen Laufzeiten. Dafür bieten sich sogenannte Konsortialprojekte an, in denen sich Unternehmen mit ähnlicher Fragestellung in einem Konsortium zusammenfinden und unter Leitung des FIR oder eines der sieben Center im Cluster Smart Logistik konkrete Fragestellungen formulieren. Dieses Vorgehen führt in der Regel binnen sechs Monaten schon zu Ergebnissen, da die beteiligten Firmen weitreichende Einblicke in andere Unternehmen gewinnen und von ausformulierten Handlungsempfehlungen und Best Practices profitieren. Schon im Vorfeld haben die Konsortialpartner die Möglichkeit, ihre Schwerpunkte als Fragestellungen einzubringen und so den Untersuchungsgegenstand gemeinsam im Konsortium zu definieren“. Konsortialprojekte werden vom FIR regelmäßig nach tatsächlichen Bedarfen aus der Praxis angeboten.
Beratung und Industrieprojekte
Mit Schwerpunkt auf den Themenfeldern Produktion & Logistik, Digitalisierung & Strategie, Informationstechnologien & -management sowie Service & Instandhaltung begleitet das FIR Unternehmen durch ihren Transformationsprozess. Innerhalb eines umfassenden Beratungsportfolios unterstützen die Expert:innen des FIR Unternehmen dabei, ihre speziellen Herausforderungen zu erkennen und in Strategien und Maßnahmen zur Steigerung der Wertschöpfung zu überführen. Ausgangspunkt dafür ist häufig der vom FIR mitentwickelte ‚Industrie 4.0 Maturity Index‘[4], mit dem Unternehmen den Reifegrad ihrer Transformationsfähigkeiten bestimmen und strukturierte Maßnahmen in einer Roadmap für die Fortsetzung des Prozesses festlegen.
Mitgliedschaft im Cluster Smart Logistik
Unternehmen, die auf eine kontinuierliche Zusammenarbeit setzen, ihr Unternehmen langfristig und strategisch ausrichten und forschungsseitig auf dem neuesten Stand sein wollen, entschließen sich häufig für eine sogenannte Immatrikulation. Diese Form der Zusammenarbeit überwindet die traditionell bedingten räumlichen und institutionellen Barrieren. Mit strategisch organisierter Zusammenarbeit in modern ausgestatteten Gebäuden und der notwendigen technischen Infrastruktur teilt man hier Wissen und Ressourcen, entwickelt und verprobt in schnellen Sprints Neuentwicklungen und führt Innovationen zügig zur Marktreife.
Ausblick
Als Cluster Smart Logistik unter der Leitung des FIR beteiligen sich rund 100 Wissenschaftler:innen und Projektleiter:innen an der Fortschreibung der Erfolgsgeschichte des RWTH Aachen Campus, der auf ca. 800.000 m² eine der größten technologieorientierten Forschungslandschaften Europas darstellt. Ziel ist die durchgängige Gestaltung eines agilen und lernenden Unternehmens, das sich zukünftig schnell und adaptiv auf die sich wandelnden Veränderungen und Einflüsse des Marktes einstellen kann.
Anknüpfungspunkte für Unternehmen gibt es viele, dabei spielt die jeweilige Branche oder Größe nicht die vorrangige Rolle – vielmehr sind es die vorwärtsgewandten Protagonist:innen, die erkannt haben, dass Erfolg in erster Linie auf Kooperation basiert, frei nach dem Motto „Von den Besten lernen“.
[1] 1953 gegründet als Forschungsinstitut für Rationalisierung (FIR) e. V., interpretiert das Institut „FIR“ heute mit „Forschung. Innovation. Realisierung.“
[2] Professor Stich ist Geschäftsführer des FIR an der RWTH Aachen und Leiter des Clusters Smart Logistik.
[3] Diese mit seriennahen Werkzeugen gefertigten Modelle dienen nicht nur der reinen Funktionsabsicherung und setzen das Konzept des „Minimum Viable Product“ um. Kundenfeedback kann während der Entwicklung zurückgeführt werden, was die Umsetzungszeit bei geringeren Kosten erheblich verkürzt. Das frühe Scheitern und Lernen aus Fehlern haben in diesem Ansatz Methode. (siehe Schuh et al. 2020, S. 41)
[4] ebd., a. a. O.
Literatur:
Schuh, G.; Anderl, R.; Dumitrescu, R.; Krüger, A.; ten Hompel, M. (Hrsg.): Industrie 4.0 Maturity Index. Die digitale Transformation von Unternehmen gestalten. acatech. München 2020. Download: PDF-Dokument (Link zuletzt geprüft: 15.07.2021)
Autor:innen:
Professor Dr.-Ing. Volker Stich, Geschäftsführer FIR an der RWTH Aachen und Leiter Cluster Smart Logistik
Birgit Merx, M.A., Bereichsleiterin Kommunikationsmanagement, FIR an der RWTH Aachen und Head of Marketing Cluster Smart Logistik
Quelle: FIR e.V. an der RWTH Aachen