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„Eine politische Mär, dass Mittelständler nicht belastet werden“

by Redaktion

Das deutsche und das geplante EU-Lieferkettengesetz überfordern mit ihren tiefgreifenden Verpflichtungen insbesondere kleine und mittlere Firmen. VDMA-Mitglieder machen ihren Unmut darüber deutlich.

Immer mehr Unternehmer im Maschinen- und Anlagenbau fühlen sich mit Blick auf das deutsche und das europäische Lieferkettengesetz von der Politik im Stich gelassen und ihrer Wettbewerbsfähigkeit beraubt, wie die nachfolgenden Statements von VDMA-Mitgliedsfirmen unterschiedlicher Größenordnung zeigen. Sie beklagen zudem eine gewisse Scheinheiligkeit der Gesetzgebung. So wird von Seiten der Politik zum Beispiel immer wieder angeführt, die Lieferkettengesetze erfassten nur größere Unternehmen. Aber weil diese den Druck und die Verpflichtungen sofort an ihre Zulieferer weitergeben, müssen de facto auch Unternehmen mit nur wenigen Beschäftigten diese Standards in der Tiefe ihrer Lieferketten selbst in fernen Ländern garantieren – oder sich aus vielen Märkte zurückziehen und diese der Konkurrenz aus Ländern mit weniger Sorgfaltspflichten überlassen.

​​​​​​​Die Entwicklung wird noch verschärft durch die auf europäischer Ebene diskutierten Sorgfaltspflichten entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Diese Standards womöglich auch auf Kunden übertragen zu müssen, ist noch weniger realistisch. Ein Exportgeschäft wäre dann mit vielen Ländern schlicht unmöglich und europäische Mittelständler würden durch – häufig staatlich gelenkte – Industrieunternehmen anderer Weltregionen ersetzt. Das politische Ziel, Lieferketten zu diversifizieren, um Europa resilienter zu machen, würde somit ins Gegenteil verkehrt.

Bundesregierung und Abgeordnete im EU-Rat gefordert
Der VDMA fordert daher die Bundesregierung und die Abgeordneten des Europäischen Parlaments nachdrücklich auf, ihren Einfluss in Brüssel auf das laufende Verfahren zum EU-Lieferkettengesetz geltend zu machen. „Es kann nicht sein, dass der Mittelstand in Sonntagsreden immer als Pfeiler für unseren Wohlstand gelobt wird und dann mit bürokratischen Anforderungen überzogen wird, die ihn im globalen Wettbewerb spürbar schwächen“, mahnt VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann. „Die Berliner Regierung muss im Rat verhindern, dass die Pläne des EU-Parlaments so umgesetzt werden, wie sie derzeit diskutiert werden, will sie nicht eine weitere schwere Belastung des industriellen Mittelstands sehenden Auges hinnehmen. Die europäische Regelung darf keinesfalls über die Herausforderungen des deutschen Lieferkettengesetzes hinausgehen!“

Wie sehr gerade kleine und mittlere Unternehmen durch Lieferkettengesetze belastet werden, zeigen die folgenden Statements von VDMA-Mitgliedsfirmen:

ESTA Apparatebau GmbH & Co. KG (Senden, Bayern) Alexander Kulitz, Mitglied der Geschäftsleitung und Gesellschafter:

„Natürlich erwarten unsere Kunden, dass wir als mittelständisches Familienunternehmen die vom Lieferkettengesetz für Großunternehmen vorgeschriebenen Dokumentationspflichten vorhalten. Der bürokratische Aufwand ist dabei enorm, insbesondere da wir als Zulieferer gebeten werden, die Dokumentation an die jeweiligen ‚Berichtssysteme‘ der Kunden anzupassen, die je nach Unternehmen durchaus unterschiedlich sein können.

Diese Mehrbelastung wird in den seltensten Fällen kompensiert oder kann beim Kunden eingepreist werden. Insoweit ist die politische Mär, dass das Gesetz nur Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern betrifft, schlicht falsch.

Mit Bußgeldern wird nicht primär bestraft, wer Menschenrechtsverletzungen- oder Umweltsünden in seinen Lieferketten duldet, sondern jene Unternehmen, welche die Dokumentations- und Bürokratiepflichten falsch, unzureichend oder nicht ordnungsgemäß umsetzten. Eine neue Abmahnwelle gegenüber Unternehmen, welche fehlerhafte Formulierungen oder unzureichende Dokumentation vorhalten, ist daher weit wahrscheinlicher als die tatsächliche Ahndung von Menschenrechtsverletzungen, welche in der Lieferkettenbürokratie untergehen werden.

In Zeiten, in denen Inflation, Fachkräftemangel, Energiekrise und Lieferkettenstaus unsere Wirtschaft massiv herausfordern, ist es schlicht Wahnsinn, die bürokratischen und wettbewerbsschädlichen Hürden weiter aufzubauen. Der Mittelstand wird für seine Nachhaltigkeit und die überzeugenden Werte im Familienunternehmertum gelobt, jedoch im gleichen Atemzug mit der nächsten gutgemeinten Gesetzesinitiative Stück für Stück durch weitere Belastungen demontiert.“

HAHN Automation GmbH (Rheinböllen, Rheinland-Pfalz) Frank Konrad, CEO:

„Als global agierender Sondermaschinenbauer mit sowohl einem internationalen Kunden- als auch Lieferantennetzwerk werden wir ab 2024 unmittelbar vom EU-Lieferkettengesetz betroffen sein. Für uns als mittelständisches Unternehmen mit mehr als 1000 aktiven Lieferanten bedeutet dies einen erheblichen finanziellen und personellen Mehraufwand, um die vorgeschriebenen Sorgfaltspflichten erfüllen zu können. Zudem können wir nicht beurteilen, ob alle globalen Lieferanten diesen geforderten Standards folgen können.

Unser Erfolg der letzten Jahre war es, Kunden weltweit mit Produktionsanlagen einheitlicher Qualitätsstandards beliefern zu können. Durch die neuen globalen Vorgaben werden wir mittelfristig aufgefordert, Kontinent-spezifische Entwicklungen zu betreiben und damit unseren Wettbewerbsvorteil einzuschränken. Aufgrund der aufgeführten Punkte werden wir unser Lieferantennetzwerk weltweit neu strukturieren und deutlich erweitern müssen, was zur Folge hat, dass sowohl Lieferzeiten als auch Kosten ansteigen werden.“

Pöttinger Landtechnik GmbH (Grieskirchen, Österreich) Dr. Markus Baldinger, Geschäftsführer:

„Als mittelständisches Unternehmen in der Landtechnik ist für uns der europäische Binnenmarkt einer der wesentlichsten Absatzmärkte. Das größte Problem des EU-Lieferkettengesetztes ist die Vorschrift der Sorgfaltsplichten nicht nur für unmittelbare Lieferanten (direkte Vertragspartner) sondern auch für mittelbare Lieferanten (Lieferanten unserer Lieferanten und wiederum deren Lieferanten). Dieser Sorgfaltspflicht nachzukommen, ist sehr schwierig, weil es beinahe unmöglich ist, alle Lieferanten ausfindig zu machen und Einfluss auf diese auszuüben.

Des Weiteren muss unbedingt verhindert werden, dass ein europäisches Lieferkettengesetz zu einer Vielzahl an nationalen Einzelgesetzgebungen und dem damit verbundenen erheblichem Mehraufwand führt. Auch die zivilrechtliche Haftung muss vollkommen aus dem Gesetzesentwurf gestrichen werden. In Summe stellt die bisherige Planung des EU-Lieferkettengesetzes einen wesentlichen Mehraufwand für die Unternehmen dar, von der Risikoanalyse über den bürokratischen bis hin zum rechtlichen Aufwand.“

RENK Group (Augsburg, Bayern) Susanne Wiegand, CEO:

„Als global agierendes Unternehmen stellen wir bereits heute hohe ethische Anforderungen an unsere Lieferanten. Natürlich begrüßen wir alle internationalen Initiativen zur noch besseren Durchsetzung der universellen Menschenrechte. Jedoch sehen wir dieses Ziel mit dem Lieferkettengesetz eindeutig als nicht erreichbar an. Der Gesetzgeber bürdet hier den Unternehmen in einer pauschalen Weise kaum zu erfüllende Aufgaben auf. Für eine entsprechende Sicherstellung stellt er keine klaren Vorgaben, sondern erzeugt für die Unternehmen erhebliche Rechtsunsicherheiten. Das Lieferkettengesetz verliert sich leider in abstrakten Zuweisungen und unbestimmten Rechtsbegriffen. Eine echte Wahrnehmung von effektiver menschenrechtlicher Verantwortung wird so nicht funktionieren. Das geht besonders zulasten der kleinen und mittleren Unternehmen.“

Schulte Strathaus GmbH & Co. KG (Werl, NRW) Dr. Michael Schulte Strathaus, Geschäftsführender Gesellschafter:

„Unser Unternehmen ist Hersteller von Komponenten im Bereich Spillage Control bei Bandanlagen für den internationalen Schüttgutbereich. Auch wir sind auf Chips und elektronische Komponenten aus dem asiatischen Raum angewiesen. Trotz unserer Beschäftigtenzahl von weit unter 500 Mitarbeitern sind wir gezwungen, das Lieferkettengesetz mit seinen Forderungen umzusetzen, da die internationalen Anlagenbauer eine Einhaltung in den mit uns abgeschlossenen Lieferverträgen zwingend einfordern. Mit den uns zur Verfügung stehenden Kapazitäten ist es uns unmöglich, die vollständige Kontrolle bei unseren asiatischen Lieferquellen zu gewährleisten. Entweder müssten wir zusätzliche nicht-produktive Mitarbeiter für diese Kontrollarbeiten einsetzen oder externe Dienstleister beauftragen. Beides führt zu einer nicht tragbaren Kostenbelastung. Darüber hinaus handelt es sich hier um eigentlich hoheitliche Aufgaben, die ein Staat durch geeignete Maßnahmen selbst ausführen müsste.

Neben den Auswirkungen des Lieferkettengesetzes leiden Familienunternehmen darüber hinaus unter einer enormen Überbürokratisierung in Form überbordender Meldungen an öffentliche Dienststellen. Komplizierte Bauvorschriften und Bauverfahren erschweren bzw. verhindern Investitionen. Eine katastrophale Infrastruktur, speziell im Bereich Straßenverkehr und Bahnverkehr, belasten den Standort Deutschland darüber hinaus in unzumutbarer Weise.“

WIWA Wilhelm Wagner GmbH & Co. KG (Lahnau, Hessen) Peter Turczak, Geschäftsführender Gesellschafter:

„Auch wir als Unternehmen mit weniger als 500 Mitarbeitern wären vom Lieferkettengesetz betroffen. Ein Beispiel aus der Praxis: Wir liefern unter anderem Brandschutzbeschichtungsanlagen an große Bauunternehmen und deren Dienstleister. Eine solche Anlage besteht aus rund 1300 Teilen und Rohmaterialien die wir von über 400 Lieferanten beziehen. Die Verantwortung für alle Stufen der Vorproduktion können wir einfach nicht übernehmen. Dies würde bedeuten, dass wir sehr viele Mitarbeiter nur mit Nachweisen über die Herkunft aller Teile beschäftigen müssten. Als Familienunternehmen mit 140 Mitarbeitern ist dies schlicht unmöglich.

Wir setzen bereits seit Jahren auf lokale Lieferanten und zahlen faire Preise für Waren – auch ohne gesetzliche Vorgaben. Aufgrund unserer Größe haben wir nicht die Möglichkeiten Druck auf alle Lieferanten auszuüben, um die Dokumentation der geforderten Aspekte zu gewährleisten.“

Text: VDMA e.V.

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