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„Bundesarbeitsgericht muss sich jetzt schützend vor die verfassungsrechtlich garantierte Tarifautonomie stellen“

by Redaktion

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat heute über die Auslegung des Rechtsbegriffes „Gesamtschutz“ für Zeitarbeitskräfte nach der EU-Zeitarbeitsrichtlinie entschieden. Nach Auffassung des EuGH erfordert der Gesamtschutz eine Ausgleichsregelung, sofern in Tarifverträgen das Vergleichsentgelt (Equal Pay) unterschritten wird. Der Rechtsstreit geht nun zurück an das Bundesarbeitsgericht (BAG). Anlässlich dieser Entscheidung erklären der Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister e. V. (BAP) und der Interessenverband der Zeitarbeitsunternehmen e. V. (iGZ):

„Mit dieser Entscheidung äußert sich der Europäische Gerichtshof erstmals dazu, was der unbestimmte Rechtsbegriff ‚Gesamtschutz‘ für Zeitarbeitskräfte nach der EU-Zeitarbeitsrichtlinie erfordert. Inwiefern sich das Urteil auch auf die bewährte Tarifarchitektur der deutschen Zeitarbeitsbranche auswirken wird, bleibt jedoch abzuwarten. Jetzt ist es am Bundesarbeitsgericht, sich schützend vor die verfassungsrechtlich garantierte Tarifautonomie zu stellen und die Gestaltung von Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge in der Zeitarbeit auch zukünftig zu ermöglichen, und zwar rechtsicher, praktikabel und attraktiv.

Die Sozialpartnerschaft in der Zeitarbeitsbranche hat sich über Jahrzehnte in Deutschland bewährt. Die Flächentarifverträge in der Zeitarbeit bestehen seit nahezu 20 Jahren und müssen auch zukünftig im Sinne einer gefestigten Sozialpartnerschaft weitergeführt werden können.“ 

Zur Einordnung des Sachverhalts:

Geklagt hatte eine Zeitarbeitnehmerin, die aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrags von Januar bis April 2017 in einem Betrieb der Branche des Einzelhandels eingesetzt war. Sie erhielt einen Tariflohn nach den tariflichen Bestimmungen der Zeitarbeitsbranche, der geringer war als der Lohn vergleichbarer Stammarbeitskräfte im Einsatzbetrieb. Die Klägerin sah darin einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 der EU-Zeitarbeitsrichtlinie und klagte auf Nachzahlung der Entgeltdifferenz (Equal Pay). Nach Auffassung der Klägerin seien die Tariföffnung im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz sowie die hierauf beruhenden Tarifverträge der Zeitarbeit nicht mit Art. 5 Abs. 3 der EU-Zeitarbeitsrichtlinie vereinbar, da mit diesen Regelungen der von der Richtlinie geforderte „Gesamtschutz der Zeitarbeitnehmer“ nicht gewahrt sei. Die Klage auf Equal Pay-Nachforderung blieb in den Vorinstanzen (AG Würzburg, LAG Nürnberg) erfolglos. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte im Dezember 2021 das Verfahren ausgesetzt und den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um Vorabentscheidung über mehrere entscheidungserheblichen Fragen ersucht, u. a., wie der in der EU-Zeitarbeitsrichtlinie verwendete Begriff „Achtung des Gesamtschutzes von Zeitarbeitnehmern“ definiert wird und unter welchen Voraussetzungen die Sozialpartner beim Abschluss von Zeitarbeitstarifverträgen vom Grundsatz gleicher Bezahlung abweichen dürfen.

Nachdem beim EuGH am 5. Mai 2022 eine mündliche Verhandlung zu diesem Verfahren stattfand, hatte dessen Generalanwalt, Anthony Collins, seine Schlussanträge im Juli gestellt.

Text: Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister e.V. (BAP)

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