„Viele Aussagen ignorieren die Entwicklungen und Leistungen unserer Branche gänzlich“. Verbandspräsident Sebastian Lazay fand in seiner Begrüßungsrede beim diesjährigen digitalen Arbeitgebertag Zeitarbeit des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister (BAP) klare Worte mit Blick auf die Wahlprogramme der Parteien zur Bundestagswahl im September 2021 zum Umgang mit der Zeitarbeit. Sie sei nicht nur das Mittel der Wahl, um kurzfristige Personalengpässe abzudecken, sondern „die Zeitarbeit hat viel mehr und auch wichtigere Funktionen. Diese werden dringend gebraucht, damit Deutschland die Folgen der Corona-Krise möglichst schnell überwinden kann und den Anschluss beim Thema Digitalisierung nicht verliert.“
Lazay betonte, dass die Zeitarbeit sowohl ein wichtiger Rekrutierungskanal gerade für kleine und mittelständische Unternehmen ohne eigene Personalabteilung als auch der wichtigste Integrationsdienstleister in den Arbeitsmarkt für Geringqualifizierte, Langzeitarbeitslose und Geflüchtete sei. Diese Integrationsleistung erreiche keine andere Branche und auch kaum eines der offiziellen Arbeitsmarktinstrumente. „Deshalb wäre die neue Bundesregierung gut beraten, wenn sie unserer Branche zumindest nicht noch mehr Steine in den Weg legen würde. Noch besser wäre es allerdings, wenn sie die beschäftigungsschädliche Höchstüberlassungsdauer und das antiquierte Schriftformerfordernis aufheben und die Lohnfindung in der Zeitarbeit allein den Tarifparteien überlassen würde“, so seine deutlichen Worte an die künftige Regierungskoalition. Der BAP werde jedenfalls nicht müde, für diese Forderungen einzutreten, ganz gleich wer immer auch ab Herbst im Bund regieren werde.

Die Bedeutung der Zeitarbeit für die Gesamtwirtschaft verdeutlichte im Anschluss Dr. Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Denn sie „sorgt in schwierigen Zeiten in den Unternehmen für Flexibilität und sichert Stammarbeitsplätze. Gerade in der Krise ist die Zeitarbeit unverzichtbar für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Vor allem für Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose ist sie ein großes und wichtiges Sprungbrett in die Beschäftigung.“ Dulger berichtete dabei auch aus eigener Erfahrung als Unternehmer, der mit Zeitarbeitnehmern sehr gute Erfahrungen gemacht habe. Die Politik kritisierte Dulger dafür, dass sie „die Branche in der Vergangenheit immer wieder eingeschränkt hat, ohne dabei ihre Wichtigkeit für die deutsche Wirtschaft insgesamt zu berücksichtigen“. Mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl richtete Dulger mit der Flexibilisierung der Arbeitszeit, der Deckelung der Sozialversicherungsbeiträge und der Digitalisierung und Modernisierung des Bildungswesens drei konkrete Arbeitsaufträge an die kommende Regierungskoalition. Zudem brauche die Wirtschaft dringend einen Wachstumsplan. „Die Devise muss lauten: die Wirtschaft einfach mal machen lassen und nicht weiter belasten“, so Dulgers abschließende Forderung.

Mit Blick auf die Zeitarbeit als die Branche mit der höchsten Tarifbindung in Deutschland von nahezu 100 Prozent betonte Stefan Körzell, Mitglied des Geschäftsführenden Bundesvorstands des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB): „Wir sind froh, dass wir diese Tarifbindung in der Zeitarbeit haben. Und wir würden uns dies auch für den Rest der Wirtschaft wünschen!“ Ein Beispiel für die sehr gut funktionierende Tarifpartnerschaft in der Zeitarbeit sei dabei auch das gemeinsame erfolgreiche Engagement von DGB und der aus BAP und iGZ bestehenden Verhandlungsgemeinschaft Zeitarbeit (VGZ) im März 2020 für die Berücksichtigung der Zeitarbeitnehmerinnen und Zeitarbeitnehmer beim Bezug des Kurzarbeitergeldes gewesen. Als zentrales Thema für die nächste Legislaturperiode nannte Körzell die digitale Transformation, die „aber nur mit den Beschäftigten und nicht gegen sie gelingen kann. Wir brauchen eine gestaltende Arbeitsmarktpolitik, die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mitnimmt und die dafür sorgt, dass die Beschäftigten die vor ihnen liegenden Herausforderungen durch die Digitalisierung mit Hilfe von Qualifizierung auch bewältigen können.“ Körzell warnte zudem, dass die Spaltung der Gesellschaft durch gewisse politische Kräfte nicht vorangetrieben werden dürfe, und forderte u. a. eine deutliche Entlastung der niedrigen und mittleren Einkommen, um den Zusammenhalt zu stärken.

„Die Welt nach Corona“ stand im Fokus des Vortrags von Prof. Dr. Beatrice Weder di Mauro, Wirtschaftsprofessorin und ehemaliges Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Dabei charakterisierte sie mit dem Wachstum, der Inflation, der Arbeitslosigkeit, der Verschuldung sowie der Verteilung die fünf wichtigsten makroökonomischen Themen in Folge der Corona-Krise. „Sie war schnell, groß und global und unterscheidet sich durch zahlreiche Faktoren von normalen Krisen wie der Finanzkrise 2008/2009“, stellte Weder die Mauro heraus. So basiere die Corona-Krise nicht auf Fehlentwicklungen bzw. Fehlanreizen, sondern auf einer externen Ursache. „Bezeichnend für die staatliche Reaktionen auf die Folgen der Pandemie sind vor allem entschlossene geldpolitische Interventionen und massive finanzpolitische Aktionen“, verdeutlichte die Wirtschaftsprofessorin. Und dennoch: „Mit Ausnahme der USA werden praktisch alle Regionen der Welt selbst 2024 das Niveau beim Bruttoinlandsprodukt, das vor Corona erwartet wurde, nicht wieder erreicht haben.“ Wesentliche globale Krisenfolgen seien Arbeitsplatzverluste vorrangig im unteren Einkommens- und Bildungsbereich sowie ein Beschäftigungsrückgang bei jenen Frauen, die in Teilzeit arbeiten. Doch es gebe auch Grund zum Optimismus, betonte Weder di Mauro: „Gerade in den Industrieländern wird sich schnell wieder ein Wachstum bei der Wirtschaftsentwicklung aufbauen. Zudem geht Europa gestärkt aus der Pandemie hervor, denn diese hat nicht nur die Grenzen der Kleinstaaterei aufgezeigt, sondern der Kontinent hat mit seiner Geld- und Fiskalpolitik schnell und richtig auf die Krise reagiert.“

Einen spannenden Einblick in aktuelle Umfragewerte gut drei Monate vor der Bundestagswahl lieferte Janina Mütze, Gründerin und Geschäftsführerin des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Civey. Als die drei Top-Themen der Wahl wurden in der repräsentativen Online-Befragung Wirtschaft und Arbeitsplätze, Renten- und Sozialsysteme sowie Umwelt- und Klimapolitik genannt. Gefragt nach ihren Wahlabsichten, spricht aktuell vieles für ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU/CSU und Grünen. 49,8% aller Befragten sprachen sich mit Blick auf die Wahl für einen politischen Neuanfang aus, wo hingegen 23,4% für politische Kontinuität plädierten. Mütze berichtete zudem über interessante Umfrageergebnisse aus dem Bereich der Zeitarbeit: „Bei der Umfrage unter Personaldienstleistern und in Einsatzbetrieben der Zeitarbeit hat sich gezeigt, dass es in den kommenden fünf Jahren vorrangig Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung sind, die vermehrt gesucht werden.“ Befragt nach den zentralen Vorteilen der Zeitarbeit aus Sicht der Einsatzbetriebe sind es die Möglichkeit der schnellen Reaktion auf veränderte Auftragslagen (59,3%) und der sofortige Einsatz für ausfallendes Personal (50,0%) sowie das Kennenlernen zukünftigen Personals (25,1%), die das Ranking hier anführen. Die Unternehmen setzen also weniger aus Gründen der Kostenersparnis als vielmehr aus Flexibilitätsgründen auf Zeitarbeitnehmerinnen und Zeitarbeitnehmer.

Den Abschluss des diesjährigen Arbeitgebertages Zeitarbeit bildete eine Fragerunde. Bei dieser fasste Wirtschaftsjournalistin und TV-Moderatorin Carolin Roth, die durch das Programm führte, gemeinsam mit den Referentinnen und Referenten nicht nur wesentliche Erkenntnisse des Nachmittags zusammen, sondern sie diskutierten zudem Fragen aus dem virtuellen Veranstaltungschat. Angesprochen auf das weitgehende Verbot der Zeitarbeit in der Fleischwirtschaft in Folge des Arbeitsschutzkontrollgesetzes fand Sebastian Lazay hier deutliche Worte, denn „wir werden für etwas in die Verantwortung genommen, wofür wir nicht verantwortlich sind. Das ist ein völlig falscher Ansatz, da die Zeitarbeit durchreguliert ist. Wir hätten an dieser Stelle die Lösung sein können, werden aber stattdessen zum Problem gemacht und müssen die Zeche für etwas zahlen, das wir nicht versursacht haben.“ Abschließend betonte Lazay mit Blick auf die weitere Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, dass es nicht nur einen Fachkräftemangel, sondern einen Arbeitnehmermangel insgesamt gebe. Die „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben zu Recht Ansprüche und darauf haben wir in unserer Branche längt reagiert.“
Text: Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister e.V. (BAP)